Über Triëdere

Triedere hat den Anspruch, aufschlussreiche Situationen mit Texten herzustellen.

Triëdere – Zeitschrift für Theorie und Literatur – erscheint seit 2009 zweimal jährlich im Sonderzahl Verlag (Wien) und gibt Anlass zu Calling Parties, Debatten, Vorträgen und anderen intellektuellen Vergnüglichkeiten. Events und Hefte werden dankenswerterweise von der Stadt Wien (MA7) und dem Bundesministerium für Kunst und Kultur unterstützt. Die Redaktion besteht seit 2023 aus Ann Cotten, Sandro Huber und Gerd Sulzenbacher.

Als Zeitschrift für Theorie und Kunst wurde Triëdere 2009 von Matthias Schmidt, Alexander Sprung und Christian König gegründet. Ab #11 (Amikalekte) hieß es Kunst, Literatur und Theorie; seit 2023 liegt der Fokus auf dem Zusammenwirken von Theorie und Literatur. Die Hefte sind jeweils einem Thema gewidmet, zu dem sie eine möglichst zu Gesprächen anregende, sorgfältig zusammengestellte Auswahl von Texten aus verschiedenen Richtungen versammeln.

Namensgebend für das Projekt ist Robert Musils Essay „Triëdere“ von 1926 über die Zweckentfremdung eines Binokulars, das sowohl zum Verständnis des einzelnen Menschen […] als auch zu einer vertieften Verständnislosigkeit für das Menschsein beiträgt. (Nachzulesen z.B. auf der Webseite des Signaturen-Magazins https://www.signaturen-magazin.de/robert-musil–triedere.html )

Ausgehend von Musils Versuchsanordnung formulierte Matthias Schmidt zu Beginn den Anspruch der Zeitschrift, “das Schwanken als produktiven, experimentellen Raum zwischen Verunsicherung und Beruhigung offen zu halten”. Gedichte standen neben Essays, Fragmentarisches neben überraschenden und reichhaltig recherchierten Aufsätzen, geeignet, zu Vertiefung und weiterer Streuung der Lektüre anzuregen. Über die Jahre bot Triedere so die Gelegenheit, sich der Beschäftigung hinzugeben mit Kannibalogie, Fahrrädern, dem Punctum, Porno oder Hoffnungsökonomie. Bildstrecken und Comics erweiterten den Bezugsraum hinein in andere künstlerische Gebiete. Das Erscheinungsbild der Zeitschrift wandelte sich von zunächst titellosen Umschlägen mit händisch versiegelten Banderolen über zurückhaltende grafische Gestaltungen hin zu bunten Farbfotografien wie Paula Muhrs Fisch in der Hand vor blutrotem Hintergrund auf #20. Hinter den Covern blieb der Inhalt wach, überraschend, lokal verankert und von feiner Hand kuratiert.

In der neuen Redaktion wollen wir öfter auch den Feldstecher korrekt einsetzen, aus den Wiener Voralpen hinaus in die Ferne schauen, international diskutierte ins Gespräch gekommene Werke lesen und zueinander in Bezug bringen. Wir folgen unserem Begehren nach guten Gesprächen und (auch kritischer) Resonanz, suchen Verbindungen in andere Sprachen und Länder, fragen nach vergessenen Autorennnie ebenso wie nach dem neuesten Stand und weiterführenden Perspektiven von Gedanken, Technologien und Theorien. Aber auch Ambiencen und Witterungen, Launen und Trends werden mit Interesse beobachtet und fließen, wie afk auch, in die Überlegungen ein. Auf diese Art zugleich soft und hart hoffen wir, auch das nächste Jahrzehnt angemessen veränderlich zu navigieren.

Bewaffnete Augen

Auszug aus einem Aufsatz im Entstehen
G. S.

In seinem Text Triëdere! (einer essayistischen Gebrauchs-anweisung zur Zweckentfremdung eines Fernglases) hat Robert Musil eine Textstrategie vorgestellt, die bezeichnend und formgebend für sein Schreiben war, welches Denken auf eine tänzelnde, fast graphisch nachvollziehbare Weise veranschaulicht und dazu anstiftet es fortzusetzen. Wie diese der Schwerkraft enthobenen Tänzys kaum den Boden berühren, um in einer überraschenden Pirouette die allseits gebannten Blicke dazu zu bringen, dem Publikum die Köpfe zu verdrehen. Wie ging das jetzt? Methodisch werden Ausschnitte aus ihren gewohnten Zusammen-hängen herausgelöst und zu Detailstudien von Ereignisbildern, diese sogleich ins Monströse vergrößert und versucht samt ihrer Plötzlichkeit zu erfassen. Die Theorie dahinter nennt Musil Isolierung, was die Unfestigkeit des Weltbildes, wie es in einer Tagebuchnotiz von 1919 heißt, wesentlich unterstreicht.1

Neben dem Herausgelösten-Ausschnitthaften besticht die Vergrößerung des Kleinen. Überrumpelnd, erhellend, verwunderlich, entstellt, hinreißend oder einfach zum Staunen findet sich Ähnliches bei anderen Autorys der klassischen Moderne, welche ebensolche Verschiebungen anstreben, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Praxen heraus. (Hier könnte eine Liste stehen.) Bei aller Präzisionsschönheit wird es hilfreich sein den Triëder nach sorgfältigem Gebrauch für einen Augenblick beiseite zu legen, und das schiere Nebeneinander in Betracht zu ziehen. Wo bin ich überhaupt? Letztlich auch um die gewonnenen Beobachtungen in einer erweiterten Zusammenschau zu begreifen. Musils glashelles Auskundschaften, die abwechselnden Vorstöße und Rückzüge, erinnern an die Vergangenheit des Triëders als militärisches Instrument. Im Ersten Weltkrieg als Reserveoffizier in der Dolomitenfront stationiert, fern und abseits der gewohnten Zusammenhänge, situierte er an diesem Kriegsschauplatz später seine winzige Geschichte Die Maus: Im Hochgebirge, tausend und mehr Meter über bewohnter Gegend, (…) Dort hatte jemand im Frieden eine Bank hingestellt. Landschaftsbeschreibung. Auftritt die Maus. Während eine Menschenhand von einer Banklehne sinkt, wird in halluzinatorischer Schnelle vom zugespitzten Detail Mausauge auf die Großaufnahme Bergpanorama gezoomt.2 Die kinematographische Bildführung ist dabei, wenn auch die offenkundigste, nicht aber die einzige Parallele. Die ganz kleine Geschichte war, metaliterarischer Musilkniff, während des Lesens schon jedesmal zu Ende gegangen. Am Ende von Triëdere! (der Krieg ist vorüber, wir befinden uns wieder in Wien) steht jedoch der Zweifel, gespalten in der Frage, ob die vorgestellte Methode, im Gegensatz zur erhofften Klärung, nicht gerade zu einer Verstärkung der Illusionswelt führe. Benutzen doch die Menschen das Glas sogar im Theater dazu, die Illusion zu erhöhen, oder im Zwischenakt, um nachzusehen, wer da ist, wobei sie nicht das Unbekannte suchen, sondern die Bekannten.

1 Die doppelseitige Tagebuchnotiz gilt als Vorstufe von Triëdere! Hier nachzulesen
2 Im Nachlass zu Lebzeiten ist der Text der Gattung Bilder zugeordnet. Hier nachzulesen
1 Die doppelseitige Tagebuchnotiz gilt als Vorstufe von Triëdere! Hier nachzulesen
2 Im Nachlass zu Lebzeiten ist der Text der Gattung Bilder zugeordnet. Hier nachzulesen